Hartenstein-Allee 5
14 Jahre, nachdem die Ludwigsburger Stolpersteine Initiative begann, die Geschichten von NS-Ermordeten dieser Stadt zu recherchieren, erschreckte es mich: Auch weiterhin waren immer noch viele Geschichten zu recherchieren und zu berichten sind. Erschreckend, wie viele Menschen von Ludwigsburg Opfer des Nazi-Terrors wurden– erschreckend, wie viel Unterstützung dieser Terror in erheblichen Teilen der Bevölkerung hatte. Und weil es passiert ist, kann es auch wieder passieren. Das zu verhindern ist unser aller Verantwortung.
Zufällig entdeckte ich bei einem Freund ein längst vergriffenes Buch von Karen Noetzel aus den 1990er. Es ging um die Geschichte des Nationalsozialismus in Asperg. In diesem Buch wurde am Rande die Geschichte der Familie Weil aus Ludwigsburg erzählt. Ich hörte zum ersten Mal von Mina, Berthold, Werner und Evi Weil. Für dieses Buch bekam Karen Noetzel damals viele Anfeindungen – in Asperg wollte oder konnte man sich in Teilen noch nicht damit auseinander setzen, dass hoch angesehene und alteingesessene Familien Nazi-Verstrickungen hatten und manche Ehrenbürgerschaften fragwürdig erschienen.
Ich nahm mit der heute in Berlin als Journalistin und Autorin arbeitende Karen Noetzel Kontakt auf und bekam erste Auskünfte über die Weils. Es freut mich, dass sie für den heutigen Anlass einen kurze Grußbotschaft verfasste hat die ich nun Vorlesen möchte:
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Stolpersteinverlegung für Berthold, Mina, Werner und Evi Weil,
als ich vor mehr als 25 Jahren damit begann, zur Herrschaft des Nationalsozialismus in Asperg zu recherchieren, ahnte ich nicht, was emotional auf mich zukommen würde. Es war, glauben Sie mir, nicht nur einmal, dass ich das Aktenstudium unterbrechen musste, weil sich in den Dokumenten so unfassbar Grausames offenbarte.
Die Grausamkeit von Menschen an Menschen widerfuhr auch der Familie Weil, Berthold, Mina, Werner und Evi Weil. Berthold Weil war der Schwager Hans Frischauers, der eine Farben- und Lackfabrik in Asperg betrieb; daher der Bezug. Das Leid dieser ehemaligen Nachbarn wäre der Vergessenheit anheim gefallen, gäbe es nicht das größte dezentrale Mahnmal der Welt, die Stolpersteine.
Ich spreche dem Erfinder der kleinen Bodendenkmäler, dem Künstler Gunter Demnig meinen Dank aus. Er hat einmal gesagt: „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist.“ Herrn Demnigs Projekt ruft die Erinnerung an die von den Nazis Gedemütigten, Entrechteten, Verfolgten und Ermordeten an jenen Orten wach, an denen sie zuletzt freiwillig gelebt haben.
Ich danke der Stolperstein-Initiative Ludwigsburg und ihren Mitgliedern für ihre engagierte Arbeit. Sie hat es erst ermöglicht, dass heute in der Hartensteinallee 5 diese vier Stolpersteine verlegt werden. Damit entsteht ein weiterer Ort des Innehaltens, Gedenkens und ein Mahnmal gegen das Vergessen.
Vielen Dank! Und machen Sie weiter!
Ich grüße Sie alle ganz herzlich aus Berlin, Ihre Karen Eva Noetzel.
Nun zu den Weils: Die Eltern von Berthold Weil waren die in Ludwigsburg lebenden Leopold Weil und Karoline geborene Löwenthal. Deren Grabstein gibt es heute noch auf dem Israelitischen Friedhof, innerhalb des neuen Friedhofs Ludwigsburg. Berthold Weil wurde 1891 in Ludwigsburg geboren und hatte 4 Geschwister: Seine Schwester Julie starb bereits einjährig, Bertha emigrierte mit ihrem Mann Moritz Strauß und ihrer Tochter 1933 nach Palästina, Theodor lebte mit seiner Frau und Tochter in Berlin. Diese Familie wurde 1943 in Auschwitz ermordet und in Berlin sind Stolpersteine für sie verlegt. Seine Schwester Meta Frischauer, ihr Mann Hans und ihre Kinder Robert und Walter wurden ebenso von den Nazis ermordet – für sie wurden bereits in Ludwigsburg 2009 Stolpersteine verlegt.
Berthold Weil heiratete 1925 34 jährig die 26 jährige Mina Weil, geborene Lämmle. 1927 freute sich das Ehepaar Weil über die Geburt ihres Sohnes Leopold Hans Werner (Rufname: Werner). 5 Jahre später 1932 wurde dann ihre Tochter Eva Doris Karoline (Rufname: Evi) geboren.
Die Familie Weil wechselte innerhalb Ludwigsburgs mehrmals den Wohnort. Im Einwohnerbuch von 1936 ist der Wohnort dann mit Hartenstein-Allee 5 angegeben. Es wird versucht, Stolpersteine an den letzten frei gewählten Wohnorten zu verlegen. Die vielen Schikanen und auch schon existenzbedrohenden Maßnahmen der Nazis noch vor der sogenannten „Endlösung“, gegenüber den als jüdisch eingestuften Mitbürger*innen machen dies nicht immer so einfach. Es ist unklar welcher Umzug von den Opfern noch freiwillig und welcher aus finanziellen oder anderen Nöten letztendlich erzwungen war. Dies wird auch am Schicksal der Familie Weil deutlich und wir haben uns entschieden, an der Hartenstein-Allee 5 mit Stolpersteinen an die Familie zu gedenken.
Marc Haiber